Die Margerite

Oh mein Gott! Oh mein Gott, ich bin ja so aufgeregt! Heute ist mein Tag! So lange habe ich darauf gewartet, habe mich vorbereitet, all meine Kräfte gesammelt und in Kürze ist es geschafft. Ja ja, ich weiß schon was ihr jetzt denkt. Ihr denkt bestimmt: was macht denn Die da jetzt für einen Zirkus, na Die stellt sich vielleicht an. Aber ich sage euch, ihr habt keine Ahnung, ihr wisst gar nichts! Timing meine Lieben, das Timing muss passen! Sobald der Schnee verschwunden war und die Erde mich geweckt hat, habe ich nichts anderes getan als mich auf heute vorzubereiten. Und es wird wunderbar werden! Mit dem heutigen Tag beginnen die schönsten Tage des Jahres und ich bin gewappnet! Na los, jetzt mach schon! Meine Güte wie lang braucht die denn heute. Das dauert ja ewig. Aber jetzt, ja, jetzt sehe ich sie. Langsam wie eine Schnecke kriecht sie hinter dem Hügel hervor. Tempo tempo du alter Gasball! Was soll ich sagen, ist ja auch nicht mehr so taufrisch die Gnädigste. Na bitte, wer sagts denn, so langsam wird das jetzt was. Du meine Güte, vor lauter Geplapper verpasse ich hier noch alles! Reiß dich jetzt zusammen!  Stell dich gerade hin, Kopf nach oben, nein doch nicht, besser ich neige ihn ein wenig zu ihr hin. Drehen drehen, strecken strecken, mach dich groß! Ich kann es gar nicht erwarten, das wird phänomenal! Nanu, was wird denn das jetzt wenn es fertig ist? Dieses impertinente Gewächs! So präpotent kann auch nur ein gewöhnliches Gras sein. War das gestern auch schon da? Ich hätte besser achtgeben sollen, aber nein, ich war ja wieder mal mit mir selbst beschäftigt. Jammern hilft jetzt nichts, wehr dich: He du, ja dich mein ich! Das ist mein Platzerl, duck dich jetzt gefälligst a bisserl! Na sag einmal hört der denn gar nichts? Na, und was macht denn die Gnädigste plötzlich, ist sie im zweiten Frühling oder was? So schnell steigt sie ja sonst auch nicht! Was mach ich jetzt bloß? Schlimmer kann es nicht kommen, oder doch? Das ist der mieseste Tag meines Lebens! Jetzt sind sie schon überall, Hilfe ich bin umzingelt, Gräser, überall Gräser! Und sie kommt, sie kommt schon und all die Vorbereitung und all das Timing, alles für die Katz. Oder besser gesagt für die Kuh oder das Pferd, jedenfalls für irgendein Vieh das mich dann getrocknet und unverrichteter Dinge fressen wird. Der Bauer wird kommen und mich abmähen bevor meine Samen vollendet sind und wir sterben aus. Nein, so darf es nicht kommen, das habe ich mir geschworen! Die Margeriten werden diese Wiese erobern, komme was da wolle! Trotzig recke ich meine geschlossene Blüte gen Himmel, das proletarische Gewächs um mich herum würdige ich keines Blickes. Fokus, sage ich zu mir, Fokus, strecken, drehen, konzentriere dich! Und dann fühl ich sie. Die Wärme küsst meinen Blütenkelch, ich fühl mich so wohl, nicht einmal das depperte Gras um mich herum kümmert mich noch. Die Strahlen berühren mich, nein sie umschlingen mich, ich spüre die Kraft die sie mir schenken und ich beginne mich zu öffnen. Es ist wunderbar! Anfangs geht es noch schleppend, doch mit jeder Minute werde ich schneller. Bald schon werden all meine Blütenblätter zur Sonne lachen und keiner wird mir widerstehen können! Und dann ist es vollbracht: ich bin erblüht und stehe in voller Pracht auf der Wiese! Was bin ich doch für ein bezauberndes Gewächs! Ich habe es geschafft, all die Mühen, all das Wachsen! Und das Timing, ja das Timing dürft ihr nicht vergessen! Jetzt stehe ich also da, bereit quasi, erblüht, wartend, hoffend. Wo sind denn jetzt alle? All diese fliegenden und summenden Vielbeine, Beauftragte des Bestäubens. Hallo! Ich bin hier, ich hab‘s geschafft! Na sieht mich denn keiner? Bei all dem Gras um mich herum kein Wunder! Die Sonne scheint, es ist warm, wo bleibt ihr denn? Jetzt lass den Kopf nicht so hängen Mädel, richte dich auf, sonst ist es kein Wunder wenn dich keiner anfliegt. Und dann höre ich sie, meine kleinen Diener. Haben die Frühschicht wohl verschlafen. Na jetzt aber pronto wenn ich bitten darf, ich stehe ja schon ewig da herum! Voller Zuversicht spreize ich meine Blütenblätter, so dass man mein lockendes gelbes Inneres gut sehen kann. Ah ja, da kommt schon das Erste. Eine Fliege oder Biene, ist auch einerlei, wer kann dieses Insektenvolk schon auseinanderhalten. Hierher! Hier steh ich! Ja, das Dings fliegt direkt auf mich zu. Kein Wunder, verlockend wie ich bin. Aber was tut dieser geflügelte Nichtsnutz? Dreht ab, wechselt den Kurs! Da will ich doch mal sehen was dieser Einfaltspinsel gesehen hat um mich zu verschmähen. Da sehe ich sie. Dolden, überall Dolden mit mikroskopisch kleinen Blüten die eh keiner sieht. Aber das Insekt sieht sie, kriegt vor lauter winzigen unscheinbaren Blüten den Mund nicht voll. Ich fass es nicht! Da stiehlt mir diese arrogante wichtigtuerische Pflanze doch glatt meinen Bestäuber! Und dann dieser Name: Schafgarbe! Ts, das sagt doch schon alles!  „Ich bin voller ätherischer Öle“ säuselt sie, „ Sehe aus wie vom alten Geschlecht der Doldenblütler, aber das ist nur ein Täuschungsmanöver! Meine Dolden locken Insekten an, aber so gefährlich bin ich als Korbblütler nicht. Sein und Schein, denn ich setzte nicht alles auf eine Karte mit nur einer Blüte!“  Mir wird gleich schlecht vor lauter ätherischen Ölen und Gerbsäure und was weiß ich was noch allem! Ich beschließe sie einfach zu ignorieren. Aber sie sind zu viele, und wir kämpfen einzeln. Bitte da sage mir doch wer den Namen des Genies das beschließ, es sei an der Zeit eine neue Strategie zu entwickeln? Eine Blüte, groß und leuchtend, das wäre die Zukunft hat es geheißen! Hat das schon einmal irgendwer diesen fliegenden intelligenzbefreiten Viechern erklärt? Ich steh mir da die Wurzeln in die Erde mit meiner einzigen Blüte, meiner Ass, und alle Macht den Dolden oder wie oder was? Denk an den Plan, ermahne ich mich, bleib deiner Linie treu. Dolden kriegst du jetzt sowieso keine mehr, also zick jetzt nicht rum. Atmen, Photosynthese, welk nützt du jetzt niemandem. Also reiß ich mich zusammen, leuchte, strahle mit der Sonne um die Wette. Mit der Hälfte meiner Blüten fixiere ich das fliegende Volk, mit der anderen beobachte ich die Wiese. Da steht meine Leidensgenossin, die Glockenblume. Sie kommt zwar aus einer anderen Familie, hat sogar ihre eigene, die Glockenblumengewächse, aber das ist mir egal. Steht ähnlich wie ich ohne nennenswerter Fähigkeiten in der Wiese herum und kämpft um ihr verdammtes nacktes Überleben! Vielleicht hätte ich mich ihnen anschließen sollen, den Glockenblumen, denn nun bin ich im Kollektiv gefangen, mit Löwenzahn und Gänseblümchen und einer Schafgarbe, die aussieht wie ein Doldenblütler und keiner ist, wie käme da jemand auf die Idee dass wir dem selben Geschlecht entstammen? Die treiben ein falsches Spiel diese Dolden! Ja, diese hinterhältigen Dolden! Leicht zu erkennen sind sie ja, schauen eh alle gleich aus. Ob Schierling oder Kerbel, Schafgarbe oder Giersch, alle fallen auf diese Masche herein. Da ein bisschen ein anderes Blättchen und dort ein wenig anderer Stängel und alle glauben dieses „ich habe zwar kleine aber viele, alle sind weiß, die Menge macht‘s“! Aber dass die eine giftig ist und die andere „voller wertvoller Inhaltsstoffe“, das interessiert niemanden. Aber was bitteschön bedeutet schon Gerechtigkeit in einer Welt wie dieser, wo Gräser sich ungeniert vermehren und nur das Recht des Stärkeren gilt? Schönheit sei vergänglich, äffen sie, und so stehen wir da, die Glockenblumen und ich. Doch so leicht lasse ich meinen Blütenkopf nicht hängen! Oh nein! Da muss schon ein weitaus größeres Unheil daherkommen als diese Arroganzlinge um mich und meinesgleichen, also die naheste Verwandtschaft, sprich die anderen Margeriten, von der Wiese zu vertreiben! Und was soll ich euch erzählen, das größere Unheil kam, nämlich wortwörtlich. Gerade als ein netter Geflügelter auf mich zugeflogen kam, ohne Zweifel ein seltenes Exemplar seiner Art, nämlich von der Sorte die meinen wahren Wert sprichwörtlich im Fluge erkannt hat, erbebt die Erde.  Aus irgendeinem Grund bin ich plötzlich nass, obwohl nicht das kleinste Wölkchen am Himmel zu erkennen ist. Panik durchströmt mich anstelle von Wasser, meine Wurzeln gehorchen mir nicht mehr und ich erblicke den Feind. Ich korrigiere mich: die ganze Armee. Einer hat vier Beine und rennt verstörend in der Gegend herum, schnüffelt alles an und sabbert und uriniert hemmungslos. Ohne Zweifel, und dessen bin ich mir jetzt sicher, verdanke ich meine unerwartete Befeuchtung diesem Wesen. Igitt igitt igitt! Eine Pflanzenfamilie für einen Platzregen! Beschmutzt und gedemütigt ringe ich um Fassung.  Aber damit nicht genug! Der Rest springt auf zwei Beinen, trampelt in der Wiese herum, unverschämt lachen sie und erfreuen sich an der Verwüstung, die sie verursachen. In dem Chaos und Gemetzel kann ich gerade noch erkennen wie einige der Schafgarben niedergetreten werden und kann ein schadenfrohes Lächeln nicht unterdrücken. Und während ich mich in meiner Schadenfreude aale, verliere ich den Blick für das Wesentliche. Der Angriff kommt so überraschend, ja er fegt über mich hinweg, sodass mir keine Zeit zum Überlegen bleibt. Plötzlich spüre ich meinen Unterstängel, meine Wurzeln nicht mehr, ein schneidender Schmerz durchströmt meine Mitte. Ich steige höher und höher, erblicke nun schon die ganze Weite der Wiese! Was passiert mit mir? Mir schwinden die Sinne und ich erkenne gerade noch, wie ich zu anderen meiner Art gereiht werde. Allesamt verstümmelt, in der Hälfte beschnitten, eines Teils unseres Selbst beraubt. Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Ich wurde gepflückt! Wir alle, die gesamte Gemeinschaft der Margeriten werden vereint für einen Margeritenstrauß. Nein! So kann es nicht enden! So darf es nicht enden! Wie sollen wir jemals die Überzahl in der Wiese erlangen wenn keine einen Samenstand bilden kann um unser Überleben und unsere Vormachtstellung zu sichern? Ich, wir, wir hatten Ziele, wir hatten Pläne. Jeder sollte doch erkennen dass wir es schaffen würden, wir, die Margeriten! Und der vermeintlich wunderbarste Tag meines Lebens entpuppt sich als Albtraum. Hätte ich es kommen sehen sollen? War ich zu selbstverliebt in mich und meiner Vision? Schon werde ich fortgetragen, von der Wiese, von meinen Träumen. Ich kann keine Überlebenden meiner Art erkennen. Wenigstens hat es auch einige der hochwohlgeborenen Gewächse erwischt! Wasser erweckt meine Hormone wieder zum Leben. Ich befinde mich, zusammengepfercht mit meinen Leidensgenossinnen, in einer Vase. Ich sehe mich um, versuche unsere Lage einzuschätzen.  Plötzlich sitzt mir der Feind gegenüber und starrt mich an. Große Kulleraugen durchbohren mich und dennoch kommt es mir nicht unfreundlich vor. Da taucht von hinten eine deutlich größere Ausgabe des Feindes auf und lächelt die kleinere Version an. Fast erscheint es mir als ob sie sich der Tragweite ihres Handelns gar nicht bewusst sind, ja beinahe stolz auf ihr Tun! Eine schwache Hoffnung keimt in mir und die anderen Margeriten und ich sprechen uns gegenseitig Mut zu. Die Tage unserer Gefangenschaft erweisen sich angenehmer als befürchtet, nicht einmal das vierbeinige Wesen kann uns etwas anhaben, da wir auf einer Erhöhung stehen, unerreichbar für das Gesabber. Unser Wasser wird täglich gewechselt und die Sonne scheint hell durch das Fenster, und all das ohne unliebsamer Nachbarn, wie Gräser und derlei Gesindel, nur wir Margeriten, an einem Platz, vereint, wie ich es mir immer wünschte. Was bleibt ist der Gedanke an unsere Samen, an das Fortbestehen meiner Art. Wenn der Feind den Gefallen an uns verliert, endet auch die Hoffnung an unsere Nachkommenschaft. Ganz gewiss will ich nicht in einem stinkenden Biomüll enden, zusammen mit Erdbeerstängeln und anderem botanischen Unrat! Doch eines ist gewiss, es kommt erstens immer anders und zweitens als man denkt, und immer wenn du denkst es geht nicht mehr kommt von irgendwo ein Lichtlein her und derlei Schmarrn….um es kurz zu machen, liebt uns der Feind dermaßen, dass er uns ein Platzerl in seinem Garten gibt, uns ganz allein, den Margeriten aus der Wiese! Und keiner drängt sich nun vor, alles wird entfernt und gejätet, damit wir prächtig blühen und uns vermehren können von Jahr zu Jahr. Zugegebenermaßen, die eine oder andere von uns verliert noch immer die Hälfte ihres krautigen Daseins um eine Vase zu zieren, doch der Großteil von uns hat sein Plätzchen gefunden, gehätschelt und gepflegt. Doch die Schafgarbe, ich sehe sie ja in der Wiese drüben, die schaut neidisch zu uns her, so wie wir da unser Fleckchen Erde bewurzeln, wir ganz allein, die Margeriten von der Wiese, die Korbblütler mit nur einer Blüte! Ätsch

 

©by Hallo Natur, Maria Sagmüller

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